Im letzten September haben wir das Land der Verheißung besucht. Und gleichzeitig die vorerst letzte Gelegenheit genutzt, als Passagiere der Luft mit doppelter Schallgeschwindigkeit über den Atlantik zu schweben. Der großen Erwartung folgten aber herbe und tiefe Enttäuschungen. Daß die Concorde wegen eines Motorschadens auf halber Strecke wie ein normaler Airliner dahinschleichen und uns auf dem erstbesten Flughafen an der Ostküste wegen Treibstoffmangels absetzen mußte, haben wir ohne Murren hingenommen. Auch den rüden Sergeantenton des Grenzbeamten am Eingang der USA und den unfreundlichen Empfang im Hotel, wo wir, sechs Stunden zu spät, lange nach Mitternacht unsere Koffer über eine hohe, repräsentative Treppe selber tragen mußten. Aber wo immer wir hinkamen, wurde uns das Gefühl vermittelt, daß Deutsche zur Zeit in Amerika nicht besonders willkommen sind und daß sich das Land der unbegrenzten Möglichkeiten in einer unglaublichen Arroganz verstiegen hat.
Es scheint eine große Strafaktion gegen Old Germany eingesetzt zu haben, seit Gerhard Schröder in der Irakfrage gekniffen hat, um seine Wahl zu gewinnen. Unsere Entschuldigungen haben nichts genützt: wir hätten gegen ihn gestimmt und auch nicht am Zweiten Weltkrieg teilgenommen. In den Zeitungen wird zur Zeit die Existenz Deutschlands totgeschwiegen – das Einzige, was wir in diesen zehn Tagen in der New York Times über Deutschland lesen konnten, dafür in aller Breite, war die Reportage über einen von Neonazis geplanten, aber vom Verfassungsschutz vereitelten Anschlag in München. Im Wachsfiguren-Kabinett der Madame Tusseaud wurde außer einem Autorennfahrer kaum ein Deutscher verewigt, nicht einmal Konrad Adenauer, Willi Brandt oder Helmut Kohl, denen kein amerikanischer Politiker an Größe das Wasser hätte reichen können.
Im New Yorker Hotel hat uns die Kulturfee gleich mal mit voller Absicht in ein Musical geschickt, wo es um das abgedroschene Thema der Judenverfolgung in Deutschland ging, dargestellt am Beispiel eines Obsthändlers („Herr Schulz Frucht“). Man muß sich fragen, warum die alten Sachen immer wieder aufgewärmt werden, die Kunst könnte doch heute auf dieses abgedroschene Thema ohne weiteres verzichten. Die Aufführung dieses Musicals ist Bestandteil einer dauerhaft angelegten konzertierten Aktion. Von New York aus wurde auch zum Beispiel die vorgebliche Diskussion um eine Entschädigung für Zwangsarbeiter gesteuert, ein halbes Jahrhundert nach Ende der Hitler-Diktatur. Als niemand mehr etwas davon hören wollte, fing man mit dem Nazigold an. Bevor eine Pause eintritt, wird ein neuer Holokaust-Film aus dem Hut gezaubert. Oder die Farbe für die Mahnmal-Stelen ist nicht koscher.
Man muß genau hinsehen, was dahintersteckt – wer hätte heute noch etwas von der Entschädigung, und die Gutmachung stünde in keinem Verhältnis zum erlittenen Unrecht. Es scheint, daß die Presse in New York von ewigen Stichlern dominiert wird, die durch ständiges und langatmiges Thematisieren längst vergangener Schuld späte Rache an Deutschland üben wollen. Hätte unsere Regierung ein bißchen mehr Verstand, ginge sie nicht darauf ein und geriete nicht mit jedem Abwehrversuch immer wieder in dieselbe Falle.
Meine Generation und unsere Kinder, wir haben nichts mit der Beschäftigung von Zwangsarbeitern zu tun und auch kein Gold gestohlen. Wir brauchen uns in diesen Dingen von niemandem etwas vorhalten zu lassen, weil wir frei von jeder Schuld sind. Wir wollen deshalb auch keine Steuern für Entschädigungsleistungen bezahlen. Wenn damals existierende Unternehmen noch etwas abzugelten haben, ist das nicht unsere Sache. Bereits zu Konrad Adenauers Zeiten wurden völkerrechtlich verbindliche Verträge abgeschlossen und sämtliche offenen Rechnungen beglichen.
In Washington unternimmt man mit speziellen Bussen Rundfahrten und läßt sich zu allen Sehenswürdigkeiten fahren: Weißes Haus (wird gerade von der deutschen Firma Leimfarben restauriert und angestrichen, weil die noch die besten Silikatfarben herstellen – den Auftrag für das Pentagon hat man vor kurzem storniert), Lincoln Memorial, Arlington Friedhof, wo Kennedy und seine Frau begraben sind, Kennedy-Center, Georgetown, Washington Memorial, Kapitol, mehrere Museen, darunter die National Gallery of Art und das Space Museum mit den Originalen vieler Raumkapseln. Hier steht auch (noch) ein Nachbau der deutschen Wunderwaffe V2 (ein Original des Vorbilds aller Weltraumraketen kann man im Deutschen Museum München sehen). Unter allen diesen Juwelen wurde im Stadtführer und vom Busfahrer auch auf ein Museum hingewiesen, das einen wesentlichen deutschen Beitrag zur Weltgeschichte zum Thema hat: das Holocaust-Museum. Die Abbildung im Reiseführer zeigte den bekannten Spruch vom Eingang des Konzentrationslagers Auschwitz: „Arbeit macht frei“.
Das Bild der Amerikaner von Deutschland scheint sich auf das Dritte Reich zu beschränken (sonst kennen sie nur noch einige deutsche Auto- und Biermarken sowie das Münchener Oktoberfest). Die vergangenen 59 Jahre werden im Bewußtsein dieser fernen Erdbewohner offensichtlich ausgeklammert. Bei einer Stadtführung durch Lübeck stellte mir neulich ein Wissenschaftler aus Kanada, auf dem Petri-Turm stehend, als erstes und einziges die Frage, ob alle diese Häuser da unten im Krieg zerstört gewesen seien. Er staunte, daß sie bereits wieder vollständig aufgebaut waren, so kurz nach dem Krieg. Wir haben ihn deshalb gleich in die Hamburger Oper mitgenommen und ihm ein Beispiel unserer inzwischen friedfertigen Kultur gegeben. Die Aufführung war so überragend, wie er es in Vancouver noch nicht erlebt hatte.
Man sollte Möglichkeiten finden, die einseitige und offenbar von Interessengruppen gelenkte selektive Wahrnehmung der Amerikaner auf die Vielfalt deutschen und europäischen Kulturpotentials zu lenken. Könnte man nicht ein Alternativ-Museum in Washington errichten, das große deutsche Leistungen präsentiert, von Komponisten, Dichtern, Philosophen (das wird die meisten Amerikaner nicht so interessieren), sowie von deutschen Entdeckern und Erfindern. Man sollte vor allem zeigen, daß sich Deutschland inzwischen zu einem verläßlichen modernen Land entwickelt hat, dessen heutige Bewohner (bis auf einen kleinen Rest) mit den Verirrungen des Dritten Reiches nichts zu tun haben.
Ich würde am liebsten auch ein zweites Museum einrichten: Eines, das die ganzen Dummheiten der Amerikaner im letzten Jahrhundert illustriert, ohne die es wahrscheinlich weder das Dritte Reich, noch den Kalten Krieg, einen Korea- und Vietnamkrieg, die chinesische Kulturrevolution und den Landraub in Palästina gegeben hätte. Das politische Handeln der USA war gekennzeichnet durch willkürliche Einseitigkeit. Aufgrund ihrer geographisch vorgegebenen Größe und abgegrenzten Lage konnten sie, ohne sich selbst wesentlich zu gefährden, überall nach Belieben in den Lauf der Welt eingreifen und den Ausgang vieler Konflikte entscheiden, wobei sie jeweils mehr oder weniger dilettantisch vorgegangen sind, immer mit dem guten Gefühl, daß ihnen zu Hause nicht viel passieren konnte. Nach Vollzug ihrer genialen einseitigen Aktionen haben sie sich wieder zurückgezogen und die Konfliktparteien sich selbst überlassen. Ohne es zu wollen, sind sie der Rolle des „Großen Satan“ in vollendeter Weise gerecht geworden, die ihnen von anderer, ebenso unsympathischer Seite zugeschrieben wird.
Warum haben die USA in den Ersten Weltkrieg eingegriffen und die Schicksalsgötter gespielt? Ihnen verdanken unsere tapferen Großväter ihre große Niederlage und unsere Eltern den Unsegen des Nationalsozialismus. Warum haben die USA es zugelassen, daß den Palästinensern das Jahrtausende von ihnen bewohnte Land entwendet wird! Wenn heute eine fremde Nation käme und würde uns aus Dresden, Berlin und Lübeck stoßen: Da würde auch ich Bomben legen und Hochhäuser in die Luft sprengen! Man hat sich gedacht, mit den Arabern kann man es machen wie zuvor mit den Indianern in Nordamerika.
Am Ende des zweiten Weltkrieges hätte man auch Stalin und die Sowjets beseitigen müssen, die zur gleichen Zeit in Polen eingefallen sind wie Hitler. Stattdessen überlassen Roosevelt und Truman dem mordgewohnten sowjetischen Teufel halb Europa und bringen die Welt an den Rand des Abgrundes. Der voraussehbaren Gefahr eines großen Atomkriegs waren übrigens wieder alle anderen, nur nicht die Amerikaner selbst ausgesetzt. Und daß ein solcher (bisher) nicht ausgetragen wurde (die unberechenbaren Russen verfügen immer noch über ein riesiges atomares Arsenal), haben wir vielleicht nur dem Zufall zu verdanken?
Vor 150 Jahren haben die Amerikaner noch Millionen Indianer getötet und ihnen ihr Land geraubt. Sie standen Hitler und Himmler in nichts nach. Noch weit nach Ende des Zweiten Weltkriegs haben die Amerikaner ihre schwarzen Mitbürger als Menschen zweiter Klasse behandelt, einen von ihnen umzubringen, galt noch bis vor kurzem als Kavaliersdelikt.
Wenn man den US-Präsidenten und seine Landsleute heute beobachtet, findet man manche weitere Parallele zum Dritten Reich: Sie bezeichnen sich als Elitenation und behandeln die anderen Länder von oben herab (the former Außenminister Shulz said: „America and the rest of the world“). Ein Prospekt vom Empire-State-Building verwendet die Formulierung „The Capitol of the Capital of the World.“ Ich kann mich allerdings keiner freien Wahl erinnern, in der New York zur Hauptstadt erkoren worden wäre. Amerikanische Soldaten seien die besten der Welt: Die Vorlage für diesen Spruch stammt von Adolf Hitler, den sich bei uns keiner mehr zum Vorbild nehmen will. Mit stolzen Gesten verschwören sie sich, indem sie die rechte Hand zwar nicht vorstrecken, aber an die Brust legen. Die Musik spielt dazu „God bless America“, das heißt so etwas wie „Amerika über alles“. Den übertriebenen Nationalstolz haben wir in Westeuropa längst abgestreift, in Deutschland schlagen nur noch ein paar kranke Hirne solche Töne an. Dabei gibt es keine entwickelte Industrienation mit so vielen sozial gefährdeten Existenzen, wie die USA. In Amerika fällt wochenlang der Strom aus, die Häuser stürzen bei der geringsten Einwirkung ein, und viele Städte sind dreckig und heruntergekommen. Da kann man schon froh sein, in Deutschland zu leben.
Man hüte sich davor, den USA zu weit entgegenzukommen und sich wissenschaftlich und wirtschaftlich zu sehr in ihre Abhängigkeit zu bringen. Niemand rechne mit den Tugenden Gerechtigkeitssinn, Gutmütigkeit und Mildtätigkeit dieser Nation, genauso wenig wie man sich auf die Friedfertigkeit der Sowjets hätte verlassen dürfen. Die USA werden, wo sie es nur können, ihre Macht zu ihren Gunsten und auf Kosten der anderen mißbrauchen und sie nach ihre Pfeife tanzen lassen. Gerade nach meinen jüngsten Beobachtungen erscheint mir das unterwürfige Verhalten vieler Deutscher sehr naiv. Es erinnert an einen Jungen, der sich alle Mühe gibt und in jeder Weise erniedrigt, um seinem großen Bruder zu gefallen, während der Große sich über den Kleinen lustig macht, ihn ausnutzt und links liegen läßt. Der Versuch der Anbiederung zeigt sich deutlich am Verrat an der eigenen Muttersprache: Erregt heute die feine Gesellschaft zur Zeit des Alten Fritz keinen Anstoß, die nicht Deutsch sprechen wollte und sich im gehobenen Kreise nur auf Französisch verständigte? In Wirklichkeit diente dieses Verhalten allein dazu, eine angebliche Überlegenheit zu signalisieren. Das gleiche findet man heute bei vielen Wissenschaftlern und Industrie-Managern, die jede Gelegenheit nutzen, mit ihren Englischkenntnissen zu prahlen, seit vielen Jahrzehnten auch bei der Jugend, der man aber diese Albernheit noch leichter verzeihen kann.
In mir ruft es Empörung hervor, wenn sich ein Mensch willkürlich über den anderen erhebt. Für mich darf es keine durch Stand oder Geschlecht oder Nationalität legitimierte Überlegenheit geben. Jeder einzelnen Person müssen in der Welt die gleichen Rechte zugebilligt werden. Kein Land darf über das Schicksal des anderen bestimmen. In diesem Lichte erscheint auch mir das Streben mancher zweitrangiger Politiker nach einem Europa der zwei Geschwindigkeiten oder nach einem Kerneuropa (das auch die Angelegenheiten der Kleinen in die Hände nimmt) als unerträgliche Arroganz (Altkanzler Kohl über Schäuble). Die Fußtritte werden wie gesetzmäßig von oben nach unten weitergegeben. Muß es immer wieder und allerorts Menschen und Völker geben, die sich über andere erheben und ihnen Vorschriften machen wollen?
Die Länder Europas sollten sich einigen und zu ihrer natürlichen Stärke finden, unter Zurückstellung überholter nationaler Interessen, damit unser Kontinent einst nicht von dem arroganten Amerika gänzlich beherrscht wird. Dabei müßte man nicht unbedingt auf England zählen, vor dem man sich vielleicht hüten muß wie vor einem trojanischen Pferd. Ich bin stolz, ein Europäer zu sein (und kein Amerikaner)? Das ist weder wahr noch wichtig: Ich bin stolz, mit meinen Kollegen zusammen im Dienste der Menschen in aller Welt auf dem Gebiet der Medizin Spitzenleistungen zu vollbringen!
Für EUROIMMUN war das vergangene Jahr wieder durch eine äußerst positive Entwicklung gekennzeichnet. Beispiele dafür sind auf wissenschaftlichem Gebiet wesentliche Fortschritte bei der Diagnostik des Lupus erythematodes und der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, hier ist es unter anderem im Rahmen einer Diplomarbeit gelungen, standardisierte Diagnostika für die Colitis ulcerosa auf der Basis von Immunfluoreszenz-, ELISA- und Blot-Techniken zu etablieren, es resultierte eine Patentanmeldung. EUROIMMUN hat in Zusammenarbeit mit dem Robert-Koch-Institut Berlin und einigen anderen Forschungseinrichtungen das erste Diagnostikum für die serologische Erkennung des SARS entwickelt und auf den Markt gebracht, das jetzt von allen wichtigen Zentren eingesetzt wird, die mit dieser Krankheit zu tun haben, und das dabei helfen kann, neue Ausbrüche zu verhindern. Es wurden zwei Gebrauchsmuster für die Blot-Technologie angemeldet, ein neues vollautomatisches System (EUROLineScan) zur Auswertung von Westernblots und Linienblots geschaffen und eine Software für die Organisation des serologischen Labors entwickelt, die uns selbst und unsere Anwender in die Lage versetzt, am Mikroskop ausgewertete Ergebnisse direkt in den Computer einzugeben – der Bleistift soll gänzlich abgeschafft werden (EUROLabOffice; als international tätiges Unternehmen verwenden wir auch viele Begriffe in englischer Formulierung, ohne dabei unsere Muttersprache zu verraten). Zunehmende Bedeutung erlangen unsere Sparten Konstruktion, Elektronik und Informationstechnologie, die uns die kompliziertesten Produktionsmaschinen geschaffen haben und jetzt mit neuen Technologien für die Anwender-bezogene Analytik aufwarten werden – neue Zugpferde für den weiteren kontinuierlichen Aufschwung.
Die Umsatzerlöse der EUROIMMUN AG sind 2003 auf 19 Millionen Euro gestiegen, von 16 Millionen Euro 2002. Der Jahresgewinn nach Steuern betrug 928.601 Euro, nach 481.347 Euro 2002. Die wirtschaftliche Lage ist stabil und günstig. Dazu hat maßgeblich die Beteiligung von Freunden und Mitarbeitern am Unternehmen beigetragen.
Lübeck, 2003
Nachtrag
Umsatz EUROIMMUN 2015: 200 Millionen, 2017: 284 Millionen